„Fleisch essen.“

Das gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnis und die Bedeutung von Fleisch

Wissenschaftliche Tagung der Group for Society and Animals Studies (GSA) an der Uni Hamburg, Pre-Conference Event für die Minding Animals Conference 2012, Uetrecht

Foyer an der Uni Hamburg mit meiner Arbeit „Transport“ (Öl auf PE-Plane)

Am Freitag, den 01.07.2011 gab es an der Universität Hamburg eine Tagung, bei der das Thema Fleisch essen aus unterschiedlichen soziologischen Perspektiven beleuchtet wurde.

„Innerhalb der derzeitigen öffentlichen Diskussion über die ethischen und ökologischen Konsequenzen des Fleischverzehrs spielen die Mensch-Tier-Beziehung sowie die Problematik der Haltung und Tötung von Tieren für Nahrungszwecke eine zentrale Rolle. Diese Thematiken sind bisher jedoch in der sozialwissenschaftlichen Debatte und Analyse kaum aufgegriffen worden, obwohl gerade die Sozialwissenschaften einen entscheidenden Beitrag zum Verhältnis der Gesellschaft zu den Tieren und zur Bedeutung des Fleischverzehrs in diesem Kontext leisten könnten. Im Rahmen dieser Tagung sollen daher aktuelle, wissenschaftliche Analysen rund um den Fragenkomplex vorgestellt und diskutiert werden.“ (Aus dem Ankündigungstext der GSA)

Die einzelnen Beiträge lieferten dann auch sehr interessante Ansätze. Es folgt eine stichpunktartige, kurze Zusammenfassung der Vorträge, bzw. dessen, was ich von den Vorträgen mitgenommen habe.

Nach Begrüßung und Einführung in den Themenkomplex durch Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger und Sonja Buschka analysierte Prof. Dr. Klaus Petrus (Universität Bern) Werbestrategien der Fleischindustrie, namentlich der Firmen frifag und Migros, bei denen bewusst eine Art Re-Subjektivierung oder Re-Individualisierung des „Produktionsmittels“  Huhn betrieben wurde ( http://www.youtube.com/watch?v=o43aTFUn-Ik ). Die oft als Erklärung für gedankenloses Verzehren vormaliger Individuen ins Feld geführte Anonymisierung und Objektivierung durch die vom ganzen Tier abstrahierte Form „Fleisch“, „Steak“ etc. scheint also nicht unbedingt notwendige Voraussetzung für den modernen Fleischverzehr zu sein. Allerdings bleibt auch bei dieser Strategie die Individualisierung fragmentarisch, bzw. wird romantisierend verklärt. Bewusst wird z.B. nicht erwähnt, dass das Huhn keineswegs freiwillig seine Eier für den Menschen abgibt ( http://www.youtube.com/watch?v=hbFLnoJ48oI ) – oder in einer antropomorphisierenden Zuschreibung von Liebesbeziehungen unter den Masthühnern, wird verschwiegen, dass diese zu dem Zeitpunkt der Schlachtung noch gar nicht ihre Geschlechtsreife erreicht haben, also im Grunde die Konstruktion von Liebesbeziehungen etwas absurd erscheint ( http://www.frifag.ch/service/medien/tv-spots/ ).

Dr. Matthew Cole (Bristol) und Dr. Kate Steward (Universität Bristol) untersuchten die sozialen Rahmenbedingungen, welche darüber entscheiden, ob Menschen Empathie für bestimmte Tiere haben oder nicht und wie entlang dieser Mechanismen sich  Fleisch essen als normal konstituiert. Dabei stellten sie anhand von konkreten Beispielen aus Hollywood-filmen (Babe, König der Löwen, Bambi), Zeitungsdiskursen über die Essbarkeit von Eichhörnchen u.ä. fest, dass die Kategorisierungen in essbare und nicht-essbare Tiere, bzw. in Tiere die als Subjekte und Tiere, die als Objekte wahrgenommen werden fließend und damit veränderbar sind.

Dr. Karen Morgan (Universität Cardiff)  untersuchte Verdrängungsstrategien: „The wish not to know“: denial, eco-governmentality and the consumption of flesh“ – Speziell ging es um eine nur fragmentarischen Aufklärung von Kindern in Bezug auf das Thema „Wo kommt unser Essen her“, was anhand von Computerspielen und Werbung aufgezeigt wurde. ( http://www.youtube.com/watch?v=_smKyihbQ3s )

Nach der Mittagspause mit leckerem veganen Buffet hielt Renate Brucker (Dortmund) einen Vortrag über den carnivoren Bias in den Sozialwissenschaften. Die Standortgebundenheit (der Fleischverzehrenden) und damit einhergehende Blindstellen der meisten Soziolog_innen in Bezug auf die Analyse von Vegetarismus führte und führt dazu, dass  die wichtigste Motivation der meisten Vegetarier_innen, die Sorge um – und das Mitgefühl für Tiere, in soziologischen Analysen meist völlig ausgeblendet wurde und immer noch wird.

Über den Schlachthof als gesellschaftliches Phänomen der Makrogewalt referierte Melanie Bujok (Bochum). Dabei stellte sie fest, dass die soziologische Gewaltforschung die Gewalt gegen Tiere ausblendet und wies dabei auf weitere institutionalisierten Formen von Gewalt (Makrogewalt: Polizei, Militär, Knast) im modernen Staaten hin. Um die Funktionsweisen und Mechanismen von (Makro-) Gewalt zu verstehen, muss die Gewaltforschung die (institutionalisierte) Gewalt gegen Tiere als wesentlich konstituierendes Element der Gewalt begreifen. Die permanente Gewalt gegen Tiere in den „landwirtschaftlichen“ Tierfabriken könnte als eine Art Proto-Gewalt verstanden werden – ganz im tolstoischen Sinne „Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.“

Nach kurzer Kaffeepause gab es drei parallel laufende Schwerpunktthemen/Streams. In den beiden Streams, die ich nicht besucht habe, ging es zum einen um die Soziale Konstruktion von essbaren und nicht-essbaren Tieren, zum anderen um Zivilisation, Empathie und Indifferenz. Ich besuchte den Stream „Fleisch im Kontext medialer Diskurse“.

Fanbienne Erbacher (Lüneburg) untersuchte den Diskurs um die Auseinandersetzung des sich im Bau befindenden und zukünftig größten Geflügelschlachthofes Europas in Wietze. Anhand von 47 Quellen aus allen medialen Bereichen stellte sie fest, dass es bei der Thematisierung des Schlachthofes ausschließlich darum ging, wie die Anwohner_innen und die Umwelt unter den Emissionen des Schlachthofs und der dazugehörenden Logistik leiden werden, während die am schlimmsten Betroffenen, die zur Schlachtung vorgesehenen Tiere selbst, kein einziges mal im Fokus der Betrachtung standen.

Den Vegetarierdiskurs in der Zeitung „Die Zeit“ im Zeitraum von 1970 – 2010 stellte Anja Krückemeier (Bielefeld) kritisch vor. Das (ernüchternde) Ergebnis war, dass durchweg eine negatives Bild von Vegetariern geschaffen wurde und Fleischessen als das Normale verteidigt und empfohlen wurde.

Julia Gutjahr (GSA, Hamburg) analysierte unter dem Titel „Keine halben Sachen, sondern ganze Tiere“ die Konstruktion von hegemonialer Männlichkeit durch Fleischkonsum in der Zeitschrift „BEEF!“. Sie zeigte auf wie das Magazin mit einem archaischen Habitus durch Sexualisierung und Pornographisierung von Tieren eine Femenisierung von Tieren betrieb und eine „Erotik des Essen“ beschwor. Dabei wurde das „männliche Kochen“ durch gewaltverherrlichende Aspekte gegenüber dem „weiblichen Kochen“ konstruiert. Diese Strategie kann als eine Stabilisierung patriarchaler Gewalt, sowie als Reaktion auf den sich verbreitenden Vegetarismus und Veganismus interpretiert werden.

In der abschließenden gemeinsamen Runde wurde dann der Tag reflektiert und Überlegungen zur weiteren Vernetzung und Forschung angestellt. Insgesamt war die Tagung sehr inspirierend und informativ und ich bin froh ein paar neue Kontakte geknüpft zu haben, sowie die Möglichkeit gehabt zu haben eine meiner Arbeiten in diesem Kontext zu zeigen.

Wen die Vorträge interessieren kann mit den jeweiligen Referent_innen Kontakt aufnehmen. Es soll von der GSA demnächst auch eine Publikation o.ä. zur Tagung erscheinen. Für weitere Infos : https://www.wiso.uni-hamburg.de/projekte/animals-and-society/das-csa/

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„Es geht darum, ein neues Zusammenleben mit den anderen Spezies zu ermöglichen. Und die Hoffnung lautet, dass da, wo man alte Formen des Unrechts weglässt, neue Formen eines besseren Miteinanders von Menschen und Tieren entstehen.

― Hilal Sezgin

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